Letzte Aktualisierung: April 2023
Comparative genomicsQuest for orthologs
Geschenkte Gene – Geschichte
Haben Archaeen uns Sex gegeben?
Hintergrund
Der horizontale Gentransfer („Horizontal Gene Transfer“, HGT) spielt eine wichtige Rolle bei der Evolution von Organismen.
Was ist das?
Beim horizontalen Gentransfer baut ein Organismus DNA von einem anderen, nicht verwandten Organismus in seine eigene DNA ein.
Warum ist es wichtig?
So erwerben beispielsweise viele Bakterien durch HGT Antibiotikaresistenzgene. Einige Insekten stehlen Gene von ihrer Lieblingspflanze, um die Verteidigungsmechanismen der Pflanze anzugreifen. Sogar Viren können ihre Gene übertragen und haben dadurch die Evolution der Säugetiere geprägt – etwa 8 % des menschlichen Genoms sind viralen Ursprungs! (Direkt zu „Geschenkte Gene – Jetzt sind Sie dran“).
Horizontaler Gentransfer könnte ausserdem eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Sex gespielt haben!
Die Ursprünge der sexuellen Reproduktion
Sexuelle Reproduktion ist ein Merkmal, das bei fast allen eukaryontischen Arten zu finden ist. Die Tatsache, dass die sexuelle Reproduktion bei Eukaryoten so weit verbreitet ist, deutet darauf hin, dass es sich um einen uralten Prozess handelt, der auf den letzten gemeinsamen Vorfahren der Eukaryoten (LECA) zurückgeht.
Hinweis: Es gibt mehrere alternative Hypothesen für die frühe Evolution. Wir zeigen hier die «Drei-Domänen-Hypothese», bei der Eukaryoten und Archaeen einen gemeinsamen Vorfahren haben. Eine alternative Hypothese ist die «Eozyten»-Hypothese, nach der Eukaryoten von Ur-Archaeen abstammen. Diese beiden Hypothesen werden von den Forschern weitgehend favorisiert.
(Quelle: Wikipedia).
Sexuelle Fortpflanzung bedeutet Membranfusion
Die sexuelle Fortpflanzung ist ein komplexer Prozess, der insbesondere die Verschmelzung der Gametenzellen oder Keimzellen, d. h. von Spermium und Eizelle, beinhaltet. Damit dies geschehen kann, sind mehrere wichtige Ereignisse notwendig, wie z. B. die Verschmelzung der Membranen der beiden Gameten.
Bei jedem dieser Prozesse sind spezifische Proteine beteiligt.
Beispiel für die Verschmelzung von Gameten (Spermium und Eizelle) beim Rundwurm C. elegans. Hier ist die Samenzelle magentarot und die Eizelle grün. Sie können den Moment sehen, in dem Spermium und Eizelle verschmelzen und die beiden Zellen zu einer einzigen werden.
Quelle: How cells fuse (2019)
Fusogen Proteine?
Eine solche Klasse von Proteinen sind die Fusexine.
Fusexine kommen in mehreren Eukaryoten vor, und sind dort für die Verschmelzung der Gametenzellen verantwortlich.
Obwohl sie bei diesen Arten eine Schlüsselrolle bei der sexuellen Fortpflanzung spielen, sind Fusexine auch bei anderen Organismen zu finden, die sich nicht sexuell fortpflanzen.
Fusexine wurden beispielsweise in einigen Viren gefunden, wo sie für die Verschmelzung der Membranen von Virus und Wirtszelle verantwortlich sind.
Identifizierung von Fusexinen in Archaeen
Kürzlich fand ein Team von Wissenschaftlern aus der Schweiz, Schweden, Argentinien, Israel, dem Vereinigten Königreich und Uruguay den ersten Beweis dafür, dass Fusexine auch in Prokaryoten, insbesondere Archaeen, vorkommen. Sie nannten das Gen, das für dieses Protein kodiert, Fsx1.
Quelle: Discovery of archaeal fusexins homologous to eukaryotic HAP2/GCS1 gamete fusion proteins (2022) / Fsx1 in UniProtKB / Fsx1 in PDB
Aber wie haben sie nachgewiesen, dass dieses Fusexin in Archaeen vorkommt?
1. Bioinformatik
Aus der Ähnlichkeit von Aminosäuresequenzen können Forscher schlussfolgern, ob die entsprechenden Proteine oder Organismen gemeinsame Vorfahren haben (d.h. sie sind homolog). Es ist aber schwierig, die Ähnlichkeit von Proteinen zu erkennen, die sich schon vor sehr langer Zeit auseinanderentwickelt haben. Dies ist bei den Fusexin-Proteinen in Eukaryoten und Archaeen der Fall, die sich vor mehr als 2 Milliarden Jahren zu entwickeln begannen. Heute haben ihre Sequenzen nur noch wenig gemeinsam.
Mit Hilfe spezieller Bioinformatik-Techniken, die es erlauben, auch Sequenzen zu finden, die sich stark voneinander entfernt haben, wurden Sequenzdatenbanken nach Proteinen durchsucht, die sehr entfernte Ähnlichkeiten zu dem neuen archaealen Protein hatten.
Die Forscher konnten dasselbe Fusexin-Protein in anderen Arten finden und anhand dieser Sequenzen einen phylogenetischen Baum erstellen, um zu zeigen, dass sie tatsächlich verwandt sind.
2. Kristallographie
Die Kristallographie ist eine Technik, die Röntgenstrahlen und Lichtbeugung verwendet, um die 3D-Struktur von Proteinen zu untersuchen. Mithilfe dieser Technik konnten die Forscher die 3D-Struktur des Proteins Fsx1 aus einem Archaeon ermitteln.
Sie stellten fest, dass seine Struktur den Fusexinen anderer Arten sehr ähnlich ist.
3. Mikroskopie
Die Autoren testeten das neu entdeckte Protein Fusexin aus dem Archaeon, indem sie untersuchten, ob es tatsächlich in der Lage ist, Zellen zu verschmelzen, und zwar in Echtzeit.
Dazu schleusten sie das Fsx1-Gen des Archaeons in Zellen ein. Der Zellkern dieser veränderten Zellen wurde immunfluoreszierend gemacht, indem er entweder magenta oder grün gefärbt wurde. Anschließend wurden die Zellen gemischt.
Unter dem Mikroskop konnten die Forscher Hybridzellen beobachten, d.h. Zellen, deren Zellkerne sowohl magentafarben als auch grün waren! Dies war bei Mischungen von Zellen, die das Fsx1-Gen nicht enthielten, nicht der Fall.
Das bedeutet, dass das archaeale Fusexin die Verschmelzung der Zellen und damit auch die Verschmelzung der Zellmembranen ermöglicht hat.
https://www.nature.com/articles/s41467-022-31564-1#Sec34
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Horizontaler Gentransfer und die Ursprünge des Geschlechts
Fusexine finden sich bei vielen Eukaryoten, aber nur bei einigen Viren und Archaeen, nicht aber bei Bakterien.
Dies wirft eine interessante Frage auf: Wann sind die Gene, die für Fusexine kodieren, entstanden und wie sieht ihre Evolutionsgeschichte aus?
Die Wissenschaftler haben drei Hypothesen aufgestellt, die alle einen horizontalen Gentransfer beinhalten.
Was war zuerst da: die Archaee, das Virus oder das Ei?
Drei Hypothesen
#1: Virus-First-Szenario
Ursprüngliche Fusexin-Gene entstanden in Viren und wurden dann horizontal auf Eukaryoten und Archaeen übertragen.
#2: Eukarya-First-Szenario
Die ursprünglichen Fusexin-Gene stammen vom letzten gemeinsamen Vorfahren der Eukaryoten (Last Eukaryotic Common Ancestor, LECA) und wurden dann horizontal auf Archaeen und Viren übertragen.
#3: Archaea-first-Szenario
Die Fusexin-Gene entstanden zunächst in Archaeen und wurden dann horizontal auf die frühen Eukaryoten übertragen, wo sie für die erste sexuelle Fortpflanzung genutzt wurden.
Schließlich wurden die Fusexin-Gene horizontal von Eukaryoten auf Viren übertragen.
Haben wir die geschlechtliche Fortpflanzunge von Archaeen geerbt?
Wir wissen jetzt, dass Fusexin-Gene, die für die Verschmelzung von Zellmembranen bei der sexuellen Fortpflanzung unerlässlich sind, nicht nur bei Eukaryoten und Viren, sondern auch bei Archaeen zu finden sind.
Es ist jedoch immer noch unklar, ob Fusexin zuerst in Eukaryoten, Viren oder Archaeen entstanden ist. Unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte glauben die Forscher, dass das Fusexin-Gen durch horizontalen Gentransfer zwischen den drei Domänen ausgetauscht wurde.
Obwohl Viren und Archaeen keinen Sex haben, wurden einige der wesentlichen Komponenten, die für die geschlechtliche Fortpflanzung bei Eukaryoten verwendet werden, vor Milliarden von Jahren durch horizontalen Gentransfer ausgetauscht!
Jetzt sind Sie dran
Der horizontale Gentransfer hat im Laufe der Evolution der Arten zu unzähligen anderen Anpassungen beigetragen. Entdecken Sie, wie HGT Japanern hilft, Sushi zu verdauen, wie HGT für die Entwicklung der Plazenta bei Säugetieren wichtig war und vieles mehr unter „Jetzt sind Sie dran“!