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Ein bisschen Evolution

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Hintergrund

10 bis 100 Millionen verschiedene Arten leben auf unserem Planeten.

Die Quelle dieser Vielfalt ist die Evolution: Alle Arten sind in unterschiedlichem Masse miteinander verwandt. Innerhalb jeder Art  verändern sich die Individuen über Generationen hinweg durch zufällige Veränderungen in ihrer DNA, sogenannte Mutationen.

Diese Mutationen werden im Zuge der Evolution «selektiert», abhängig von der Umwelt und Wechselwirkungen zwischen Arten und Individuen. Und manchmal taucht ein neues Merkmal oder sogar eine neue Art auf, die besser an ihre Umgebung angepasst ist.

Um den Grad der Verwandtschaft zu bestimmen, untersuchen Biologen, was Arten gemeinsam haben, aber auch, was sie unterscheidet. Die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Arten werden meistens in Form eines Baumes dargestellt, der als „Stammbaum“ oder „Baum des Lebens“ bezeichnet wird.

Zu Darwins Zeiten begannen die Menschen, Arten anhand ihrer Morphologie zu vergleichen – sie analysierten zum Beispiel Grösse, Form und Struktur von Knochen, das Vorhandensein von Haaren oder Schuppen oder bei Pflanzen die Anordnung von Blättern an einem Stängel. Je ähnlicher die morphologischen Merkmale zweier Arten sind, desto jünger ist ihr letzter gemeinsamer Vorfahre.

Heute ist es möglich, die Evolution von Arten zu studieren, indem man ihre DNA und insbesondere ihre Gene oder ihre Proteine ​​vergleicht. Je ähnlicher die DNA zweier Arten ist, desto jünger ist ihr letzter gemeinsamer Vorfahre.

Was ist ein Lebensbaum? Was ist eine Mutation? Was ist natürliche Auslese? Wie baut man mit molekularen Daten einen Lebensbaum? Was sind „Orthologe“?

Der Baum des Lebens

„Alle Arten haben gemeinsame Vorfahren und entwickeln sich durch natürliche Selektion.“ Diese Theorie hat Charles Darwin 1859 in seinem Buch „Origin of Species“ aufgestellt.

Charles Darwin III: Descent with modification

Hier ist eine Skizze eines Lebensbaums, der 1837 von Darwin erstellt wurde (First Notebook on Transmutation of Species).

Zu Darwins Zeiten begannen die Menschen, Arten anhand ihrer Morphologie zu vergleichen – sie analysierten zum Beispiel Grösse, Form und Struktur von Knochen, das Vorhandenseins von Haaren oder Schuppen oder bei Pflanzen die Position von Blättern an einem Stängel.

Quelle: Wikimedia

Die Evolution des Lebensbaumes...

Neue Technologien (DNA-Sequenzierung), Zugang zu Sequenzen (DNA und Proteine) und Fortschritte in Bioinformatik und statistischen Analysetechniken haben die Klassifizierung der Arten revolutioniert. Wir können jetzt den Grad der Verwandtschaft zwischen Arten abschätzen und einen Lebensbaum aufbauen, indem wir die Sequenzen ihrer Gene und/oder ihrer Proteine ​​vergleichen.

Wie funktioniert das ?

Um zu verstehen, wie es möglich ist, durch den Vergleich von Genen oder Proteinen einen Lebensbaum aufzubauen, muss man sich (erneut) mit einigen Grundbegriffen der Evolution beschäftigen.

Hier ist zum Beispiel der Baum des Lebens, wie ihn Wissenschaftler 2006 entwerfen konnten, indem sie 31 Proteine ​​aus 191 verschiedenen Arten verglichen.

Die molekulare Basis der Evolution

Die molekulare Grundlage der Evolution sind zufällig auftretende Veränderungen in der DNA.

Meistens finden diese Veränderungen während der Zellteilung statt, das heisst, wenn die Zelle eine Kopie ihrer DNA erstellen muss.

Wer abschreibt, macht auch Fehler. Das DNA-Replikationssystem ist nicht perfekt. Fehler beim „Abschreiben" werden als Mutationen bezeichnet. Hier sind einige Beispiele:

Mutationen und natürliche Auslese

Je nachdem, wo sich diese Mutationen im Genom befinden, können sie Mechanismen beeinflussen, die der Biologie, Physiologie und Entwicklung von Organismen zugrunde liegen, oder auch nicht.

Warum ?

– Manche Mutationen haben keine Auswirkung, weil sie ausserhalb der Gene oder ausserhalb der Regionen liegen, die an der Regulation der Genexpression beteiligt sind (Promotoren).

– Mutationen, die in Introns vorhanden sind, haben im Allgemeinen weniger Einfluss als solche, die in Exons vorhanden sind.

– Manche Mutationen haben keinen Einfluss auf die Sequenz des Proteins, da der genetische Code redundant ist: Mehrere Codons codieren für dieselbe Aminosäure (GTT-> V, GTA -> V, GTC -> V, …) .

– Manche Aminosäureveränderungen haben keinen Einfluss auf die 3D-Struktur und/oder Funktion des Proteins.

Wenn zum Beispiel eine Mutation zu einer Aminosäureveränderung führt, die die Funktion eines Proteins verändert und diese Veränderung einem Individuum in einer bestimmten Umgebung einen Vorteil verschafft, so kann das betreffende Individuum besser überleben und/oder sich vermehren: die Mutation wird dann in den folgenden Generationen gefunden.

Und manchmal taucht ein neues Merkmal oder sogar eine neue Art auf. Aber wenn sich die Umgebung erneut ändert, wird diese neue Art möglicherweise nicht überleben.

Beachten Sie, dass bei vielzelligen Organismen nur Mutationen in der DNA von Zellen, die an der Fortpflanzung beteiligt sind, Auswirkungen auf nachfolgende Generationen haben können (Eizelle, Spermatozoon, Pollen, Spore usw.). Die Auswirkungen sind oft erst nach mehreren Generationen sichtbar. Und da die Zeit zwischen 2 Generationen manchmal sehr lang ist (z. B. 25 Jahre bei Menschen oder Schildkröten), ist es schwierig, die Evolution zu „sehen“.

Natürliche Auslese: ein Beispiel

Im folgenden Beispiel repräsentiert jeder Kreis eine Person. Alle diese Individuen gehören derselben Art an.

Die grüne Mutation verleiht den Personen, die sie tragen, einen Vorteil im gegebenen Umfeld. Die rote Mutation ist schädlich: Sie kann die Ursache einer schweren genetischen Krankheit sein.
Daher wird die Anzahl der Individuen mit der grünen Mutation über mehrere Generationen hinweg zunehmen, bis die grüne Mutation die häufigste innerhalb der Population in der betreffenden Umgebung ist, während die rote Mutation verschwindet. In einer anderen Umgebung hätte vielleicht die rote Mutation selektiert werden können.

Eine Geschichte über Vogelhäuschen

Das Vogelhäuschen 

Quelle: Wikimedia

 

Bei Vögeln wird die Schnabellänge von vielen Genen beeinflusst. Doch ein Gen erregte 2017 die Aufmerksamkeit der Forscher besonders: COLA45. 

In den untersuchten Populationen von Kohlmeisen hat dieses Gen zwei Allele, T und C. Das C-Allel ist mit einem längeren Schnabel verbunden und wird häufiger in der Population der englischen Meisen als in Populationen der holländischen Meisen gefunden. 

Die natürliche Selektion zugunsten längerer Schnäbel könnte spezifisch für Grossbritannien sein: Etwas in der Umwelt dort hat Kohlmeisen mit dem C-Allel und einem längeren Schnabel begünstigt. 

Hypothese: Lange Schnäbel könnten im Vereinigten Königreich einen Vorteil darstellen, da sie den Vögeln einen leichteren Zugang zu in Vogelhäuschen bereitgestelltem Futter ermöglichen würden. Und Vogelhäuschen sind in den Gärten dieses Landes sehr häufig.
 

Anhand von markierten Vögeln fanden die Forscher heraus, dass Meisen mit dem C-Allel häufiger Vogelhäuschen besuchten als solche mit einem T-Allel. 

Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Forscher möglicherweise die richtige Annahme getroffen haben: Die Verfügbarkeit von Futter in Vogelhäuschen könnte ein Vorteil sein für Vögel mit längeren Schnäbeln, die so leichter darauf zugreifen könnten.

Die Entwicklung der Schnabellänge dieser Vögel wird seit 25 Jahren beobachtet. An mehr als 2.300 Vögeln wurden genetische Analysen durchgeführt: Etwa 490.000 Mutationen wurden untersucht. Um diese Daten zu validieren, sind jedoch weitere sorgfältige Studien zur Genetik dieser Vögel und ihrer Umgebung erforderlich.

Quellen:
Recent natural selection causes adaptive evolution of an avian polygenic trait
Understanding evolution (Berkeley): A New Story of Birds and Beaks

Aufbau eines Lebensbaums mit molekularen Daten: wichtige Begriffe


1. Referenzgenom

Jede Art besteht aus einer Vielzahl von Individuen. Jedes Individuum ist einzigartig, das Genom jedes Individuums innerhalb derselben Spezies ist einzigartig.

Um Arten anhand ihres Genoms vergleichen zu können, arbeiten Biologen mit einem für jede Art ausgewählten Referenzgenom. Für jede Art, deren Genom sequenziert wurde, gibt es daher eine Referenzgenomsequenz und eine Reihe von „Referenz“-Gen- und -Proteinsequenzen.

So ist es möglich, entweder die Sequenzen ganzer Genome zu vergleichen (was aber nicht einfach und nicht unbedingt immer sinnvoll ist), oder die Sequenzen von Genen oder die Sequenzen von Proteinen.

Und das ist nicht alles! Man muss Vergleichbares vergleichen!

2. Orthologie: ein weiterer wichtiger Begriff

"Orthology, the formalization of the intuitive notion of ‘corresponding genes in different species’, is a cornerstone of genomics" (2018)

Um Arten zu klassifizieren, muss man die „gleichen“ Merkmale vergleichen. Es ist wichtig, die Sequenz des „gleichen“ Gens oder des „gleichen“ Proteins zu vergleichen, das in verschiedenen Arten vorhanden ist.

Orthologe (Beispiel 1): die Insulin-Gensequenzen von Menschen, Schimpansen, Kühen und Fischen

Hier ist die DNA-Sequenz, die dem Insulin-Gen im Referenzgenom von Menschen, Schimpansen, Kühen und Fischen entspricht. In rot: die Exons.

Diese 4 Gene sind „Orthologe“: Sie kodieren für ein ähnliches Protein, das dieselbe biologische Funktion und einen gemeinsamen Vorfahren hat.

Insulin kommt in allen Wirbeltieren vor, von Schleimaalen (ein sehr altes Taxon, dessen Individuen wahrscheinlich schon vor etwa 100 Millionen Jahren lebten) bis zum Menschen (ein neueres Taxon, das vor etwa 7 Millionen Jahren auftauchte.

Orthologe (Beispiel 2): die Sequenzen des Insulinproteins von Mensch, Schimpanse, Kuh und Fisch

Hier sind die „Referenz“-Sequenzen des Insulinproteins von Menschen, Schimpansen, Kühen und einem Fisch.

Viel Spass beim Finden der Unterschiede!

Mit molekularen Daten einen Lebensbaum bauen: das Prinzip

Es ist möglich, einen Baum des Lebens zu konstruieren, indem man die Aminosäuresequenzen „orthologer“ Proteine vergleicht.

Der sehr vereinfachte Ansatz kann im folgenden Beispiel manuell durchgeführt werden.

Hier ist ein Teil der Aminosäuresequenz des Insulins von Menschen, Schimpansen, Kühen und Fischen.


Die menschlichen und Schimpansen-Sequenzen sind am ähnlichsten (1 Unterschied). Die Fischsequenz ist diejenige, die die meisten Unterschiede zu den anderen Sequenzen enthält.

Diese Beobachtungen können in Form eines Baumes dargestellt werden.

Jetzt sind Sie dran: Wer ist der Cousin der Gurke?

Erstellen Sie Bäume mit dem Philophylo-Program (auf französisch)

  • Wählen Sie ein Protein
  • Philophylo sucht die Sequenzen dieses Proteins in verschiedenen Arten in der UniProtKB/Swiss-Prot-Datenbank
  • Philophylo vergleicht Proteinsequenzen und reiht sie untereinander auf… im Bioinformatik-Jargon konstruiert es ein „multiples Alignment“.
  • Bioinformatikprogramme werten die beobachteten Unterschiede oder Ähnlichkeiten im Alignment aus. Das Ergebnis wird in Form eines Baumes dargestellt. Die Äste entsprechen hypothetischen Ahnenorganismen.
  • Hinweis: Philophylo baut keinen echten Stammbaum (die Berechnungen wären viel zu lang und kompliziert!).

Wer ist der „Cousin“ der Gurke? 

– Sie können herausfinden, wer einen gemeinsamen Vorfahren mit der Gurke hat, indem Sie einen Stammbaum mit den Sequenzen des Ethylenrezeptors erstellen.

Wer ist der „Cousin“ des Dodos oder des Mammuts?

– Sie können herausfinden, wer einen gemeinsamen Vorfahren mit dem Dodo oder dem Mammut hat, indem Sie einen Stammbaum mit Cytochrom-B-Sequenzen erstellen.

Experten vergleichen Zehntausende von Sequenzen mit komplexen Bioinformatik- und Statistikprogrammen.

Quelle: A new view of the tree of life (2016)

Der hypothetische gemeinsame Vorfahre aller Arten (in der Mitte des Baumes) heisst LUCA (Last Universal Common Ancestor).

Man nimmt an, er habe vor 3,5 bis 4 Milliarden Jahren gelebt und habe nur aus einer Zelle bestanden.

Quelle: The physiology and habitat of the last universal common ancestor (2016) - Physiology, phylogeny, and LUCA (2016)

Diese Lebensbäume werden ständig aktualisiert, wenn neue Daten verfügbar sind.

Aber diese Geschichte des Lebens wird immer nur eine Annäherung bleiben, denn wir haben keinen Zugang zu allen Sequenzen aller Organismen, die auf der Erde leben oder gelebt haben, und werden ihn auch nie haben!

Die Herausforderungen...

Die Herausforderungen beim Bau eines Lebensbaums sind vielfältig:

(1) Man braucht Zugang zu den Genomen verschiedener Arten (Sequenzierung),

(2) Man braucht Zugang zu Informationen über die Position der Gene, um dann die Sequenzen der entsprechenden Proteine zu bestimmen (Annotation)

(3) Man muss bestimmen, welche Gene oder Proteine „Orthologe“ sind („Suche nach Orthologen“).

Und hier kommt die Bioinformatik ins Spiel.